Biopics

 

Liebe statt Zorn

 

Hätten wir keine Volkshelden, dann hätten wir nur den Strauß.
Wenn man nach der Bild-Zeitung gehen würde,
dann wären die anderen ausschließlich Verbrecher.
Aber letztendlich ist das alles völlig egal. Politik, Polizei oder Staatsgewalt.
In Bayern konnte man dagegen immer schon anhalten – in Hinterzimmern,

in Wirtshäusern oder auf Bühnen.
In Amerika wurden daraus Helden – bei uns wilde Hunde,
Dreckschweine und Verräter.

Die Form des Protestes war in Bayern schon immer relativ klar.
Bei uns geht man kaum auf die Straße,
wirft selten Pflastersteine, zündet keine Autos an.

Der Protest im bayerischen Liedgut ist vermutlich deshalb auch größer als sonst wo.
Ein Roider Jackl aus Freising gab den Politiker seiner Zeit
die Namen, die sie verdienten.
Der Kraudn Sepp galt zwar als unpolitischer – aber seine Konzerte,
die man damals ja nicht so nannte,
hätten nicht revolutionärer sein können.
Der bayerische Liedermacher im weiteren Sinn gilt sowieso als Volksverhetzer,
Revolverbesitzer und Wilderer der Gesellschaft.

In Bayern bayerische Musik zu machen ist und bleibt ein undankbares Geschäft.
Natürlich mag es Ausnahmen geben.
Die Ausnahmen sind nicht unbedingt Ausnahmekünstler,
sondern nur oftmals Vertreter der breiten Publikumsmasse.
Weit entfernt von einem Vorführen der bayerischen Sprache für den Rest der Welt
ist man dann ja nicht mehr.
Der Roider Jackl nannte solche Leute immer schon Krampfsepperl.

Aber natürlich gibt es nach wie vor Johnny Cash Gestalten,
die aus dem Nichts kommen und plötzlich hier unter uns sind.
Der Hans Söllner war und ist sicher einer von ihnen.
Kein Vorzeige-Bayer mit Lederhosen und Trachtlerschein in der Hosentasche.
Einer, der auf die Oberen scheißt und es auch noch zugibt.
Einer, der weit davon entfernt ist, die Großkopferten nur zu derblecken.
Ohne weiteres würde man einem Söllner zutrauen,
dass er dem Beckstein eine Watsche herunterhaut.

 

Wir brauchen Leute wie die Gauwailers nötiger denn je.
Ihre Musik war plötzlich da, und es ist diese Art von Musik,
die auch noch im Raum hängt, wenn längst alle Lichter verloschen sind.
Sie singen von einem gespenstischen Land,
irgendwo versteckt zwischen Babylon und dem heiligen Land.
Süllners Stimme ist nicht die Stimme eines Verräters.
Sie ist nicht auf Reggae beschränkt,
vielmehr dient der Reggae als Vehikel seines Zorns, seiner Liebe.
Kaum eine andere Musikart brennt so sehr,
erzählt so viel von Schmerz und Leid.
Oftmals verkannt als die Musik der guten Laune und der Sunnyboys.
Vielmehr könnte der Reggae nach einem Starkbieranstich
in einer Provinz entstanden sein.

Es sind gerade die stärksten Lieder dieser Scheibe,
die einen nicht schlafen lassen.
Keine Hintergrundmusik für Studentenpartys.
„Muat“ – weil da springt einer über Feuer,
obwohl er weiß, dass er im Feuer verbrennen könnte.
Mystisch, verschroben, kryptisch.
Raunend über das Leben, das uns nicht loslässt.
Und auch nicht der Gedanke, dass etwas falsch läuft.
Es wird Zeit für eine Revolution, keine Frage.

 

Wenn ich mir ein letztes Lied am letzten Tag wünschen könnte,
wäre es wohl „Geduld“.
Weil wir sollten froh sein, dass wir nicht das bekommen, was wir verdienen.
Was soll man dazu noch mehr sagen?

Ich sah sie Backstage sitzen, Süllner und seine grandiose Band,
hörte leise ihr „Pharisäer“und wusste plötzlich, dass es eine große Ehre war,
mit ihnen an einem Ort zu sein.
Sie werden noch viele großartige Songs schreiben,
und sie werden eines Tages vor vielen Menschen spielen.
Mehr als sie sich erträumen lassen.
Die Wahrheit und der Respekt lassen sich nicht überhören.
Dazu braucht man kein Marihuana, kein Alkohol, kein Heroin.
Dazu braucht man nur Liebe statt Zorn.


 

 

 

Respekt Herr Söllner

Es ist nicht so, dass wir ihn nicht kennen würden. Und dennoch tanzt da wieder einmal ein Fremder im Zwielicht des Abends. Gerade als wir glauben, seine Setlist abschätzen zu können, schlägt der Mann einen Haken. Wenngleich sein Herz auch das Herz eines Rastamannes ist, seine Seele ist doch vielmehr die Seele eines Wanderpredigers, wie eins Woody Guthrie in seiner tiefsten Staubgeschichten-Ära. Sein Reggae ist alleine eine Liebeserklärung an Bob Marley, eine Hommage der Musik der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Babylon als Synonym der tiefsten Abneigung gegen bayerische Biergemütlichkeit.
Ihn als bayerischen Bob Dylan zu sehen, wird diesem Mann dort auf der Bühne kaum gerecht, auch wenn es genügend Parallelen dazu gäbe. Wie Dylan selbst scheint Söllner stetig ein Suchender zu sein, ein Mann, der niemals sein Ziel erreichen kann, weil er sein Ziel ständig verändert.  Über sein Privatleben gibt es kaum Publikationen, und wenn dann scheinen sie ebenso verwinkelt und getrübt wie Dylans Beschreibungen in Chronicles. Zuzutrauen ist ihm alles, und die meisten tun dies vermutlich auch.


Viet Nam überraschte. Nicht, dass man nicht mit einer Überraschung gerechnet hatte. Standen die frühen Veröffentlichungen noch im engeren Kreise eines Liedermacher-Zyklus, zeigte bereits 21.12.55 die Wendung. Ein Zusammenschnitt in der Hochphase der Bedrohungen und der Verleumdungen, das Protokoll des verfolgten Künstlers. Songs des frühen Söllners konnten mit dem Blick in den Lauf eines Polizei- Revolvers nicht mehr gesungen werden. Auch wenn ihm das viele Leute nicht verzeihen konnten, jene aus der Spaßmacherreihe, die auch nach zwanzig Jahren ausschließlich das Rasenmäher-Lied hören wollten. Es war, als hätte er seine Gitarre mit neuen Saiten bezogen. Songs wie Haare ab, mystisch und raunend wie Dylan in seiner besten Rolling-Thunder Zeit gaben Auskunft über Söllners Seelenverfassung. Auch das verbindet Söllner mit Dylan. Die Zeit änderte sich und mit der Zeit das Publikum.  

Viet Nam könnte am gleichen Tag eingespielt worden sein wie Oiwei I. Ein Dylan Song schlüpfte fast unbemerkt zwischen die Aufnahmen, und fügte sich so gut ein, dass man meinen könnte, Dylan hätte ihn auch für Söllner geschrieben. Gerade mit diesen beiden Scheiben hinterlässt der Reichenhaller den Soundtrack unserer Zeit. Wie einst Kraudn Sepp und Roider Jackl mit ihren musikalischen Wegweisern aus Bayern heraus, irrt Söllners Liedgut zwischen Hass und Liebe, zwischen Zorn, Wut und Versöhnung. Er sei gerade mit seinen neuesten Aufnahmen unpolitisch geworden, knurrten die üblichen Verdächtigen aus den letzten Konzertreihen. Aber auch das widerlegt sich spätestens beim zweiten Hinhören. Da geht die Dia auf oder Viet Nam  könnte 68 geschrieben worden sein - in diesem Sinne war Söllner selten zuvor so politisch wie bei Viet Nam. Zornig und kaum einen Atemzug später liebend. Kaum ein Söllner-Lied berührte die Menschen mehr als I sig a grea. Der abgefangene Akkord zu Beginn, und diese kaum beschreibbare Vermengung von Einfachheit und Schwere, von Tod und Leben. Dabei werden Bilder gemalt, die man mit Söllner seit einiger Zeit unweigerlich verbindet. Vielleicht rühren die Bilder auch von seinen zwei Filmen, Skizzen eines außergewöhnlichen Lebens. Einer vom Volk, der am Abend auf seiner Hausbank sitzt und den Frieden gefunden hat. Es ist wie bei Dylans Not Dark Yet, bei dem man ohne es zu wollen den Sänger in einer Wonderboys Schneelandschaft stehen sieht. Söllner flüstert von Hoffnungslosigkeit und wendet damit das Blatt. Kaum ein bayerischer Liedermacher der jüngsten Zeit konnte mit solchen Farben malen. Dennoch verzeihen sie ihm nicht A Drecksau is a Drecksau, und werfen ihm sofort billige Effekthascherei vor. Dabei übersehen sie mit der üblichen Ignoranz völlig, dass Söllner dies längst nicht mehr nötig hat. Zudem waren sie es selbst, die ihn eine Drecksau nannten, und  wenn sie ihn auch nicht mehr Die Drecksau von Reichenhall betiteln, verkennen sie wieder einmal einen der ganz Großen. Aber auch das ist ja nichts neues, in Deutschland, speziell in Bayern schon gar nicht. Johnny Cash musste erst wiedergeboren werden im Taumel der American Records von Rick Rubin, damit man ihn endlich wieder im richtigen Licht sah. Vielleicht wird es auch Söllner so gehen müssen. Vielleicht aber hat er auch Glück, und sie werden es endlich verstehen können, dass man in Bayern anders spricht, anders denkt und anders träumt.
 
Ohne Zweifel hätte auch Dylans Wigwam auf eine dieser Scheiben seinen Platz gefunden. Vielleicht träumt er selbst von seinem eigenen Wigwam, einem großartigen Song, mehr Fragment als Song, der als unbedeutend auf keinem Sampler erscheint. Aber dennoch beeinflusst und immer wieder im Traum erscheint. Manchmal, wenn die Nacht dunkel und einsam ist, glaube ich ein oder zwei Takte davon zu hören, irgendwo zwischen Freiheit und Damaskus. Vielleicht hat das Söllner auch schon längst geschafft. Vielleicht werden wir sein eigenes Wigwam irgendwann einmal hören dürfen.
Ein Journalist schrieb vor einiger Zeit im Rahmen der Veröffentlichung von Johnny Cashs Solitary Man, dass er für jede weitere Scheibe beten würde.
Mir geht es nicht viel anders bei Söllner.
 
Herr Söllner - mein Respekt.


Weiherer geht offline

 

Nichts ist wie es bleibt. Selbst ein Herr Beckstein ist nicht mehr anwesend. Weiherer, der bayerische Liedermacher und Poet, Kommentator und Geschichtenerzähler, hat, wenn man so möchte, Beckstein überstanden. Oder andersherum, der Beckstein den Weiherer nicht.

 

Christoph Weiherer, inzwischen längst kein Geheimtipp mehr, tourt durch Bayern wie einst Woody Guthrie durch die Staaten. Da gibt es keine Unterschiede zwischen kleinen und großen Bühnen - dort wo seine Lieder gebraucht werden, ist er vor Ort. Keine Frage, man merkt, dass es ihm ernst ist. Sehr ernst sogar.

Nach dem Erfolgsalbum “Scheiße schrein!” von 2009 (contär/indigo) und vielen Konzerten vor begeistertem Publikum folgt nun “Offline” - zur Freude aller Weiherer-Fans eine Live-Einspielung. Denn eines hat sich gezeigt, Weiherer ist ein Bühnen-Mann. Seine Ansagen wachsen zu Geschichten im Sinne eines Karl Valentins - Wort- und Irrwitz, verdrehte Weltanschauungen und Philosophie. Wer außer Weiherer käme schon darauf, seine eigene CD im Saturn zu bestellen, nur um sicher zu gehen, dass sie auch im Regal steht? Weiherer ist kein Comedian, denn das beschreibt diesen Mann nur sehr unzureichend. Vielmehr verbindet er das Komische mit dem Tragischen, die Komödie oftmals mit der Tragödie. Anders wäre vieles auch nicht auszuhalten. Denn, wie er singt: Über dich mach ich keinen Witz mehr, über dich lache ich gleich so.

 

Weiherer kann uns zum lachen bringen, keine Frage, aber es entstehen magische Momente, macht er uns nachdenklich.

Weiherer hat sich längst frei gesungen und gespielt von den üblichen Vergleichen mit den üblichen Verdächtigen. Er steht singulär auf den bayerischen Bühnen. Manchmal verkannt, aber meistens erkannt als das, was er auch ist: ein Liedermacher. Mit dem Sprachwitz eines Karl Valentin und einer sehr starken Bühnenpräsenz. Konzert oder Gastauftritt, Weiherer zeigt uns was bayerisches Liedgut sein kann und muss: liebevoll, lustig, aufrüttelnd, mahnend und gerade. Weil er will schließlich Lieder schreiben, so schön wie der Süden.

 

Das ist ihm längst gelungen.

 

Weiherer spielt am 24. November im Schlachthof München seine neue CD und DVD “Offline” ein. Auf keinen Fall verpassen!

 

www.weiherer.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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© Richard Lorenz